Deutschland gehört zu einem der beliebten Einwanderungsländer. Das weiß mittlerweile fast jeder. Nach den neuesten Berechnungen leben in Deutschland mehr Menschen mit einem Immigrationshintergrund, als bisher vermutet wurde. Gleichzeitig ist Deutschland eines der weltweit beliebtesten Tourismusziele, und nach dem überwältigenden Erfolg der Fußball-WM dürfte die Zahl ausländischer Besucher in den nächsten Jahren weiter steigen. All diese Faktoren weisen darauf hin, dass sich kleine und mittlere Unternehmen in Deutschland stärker mit dem Thema Ethnomarketing auseinandersetzen sollten.

Unter Ethnomarketing versteht man die gezielte Ausrichtung des Geschäftsmodells oder eines Teils des Geschäftes auf eine oder mehrere ethnische Gruppen und die konsequente Berücksichtigung der kulturellen und sprachlichen Identität der Kunden in der Werbung, im Vertrieb und Verkauf. In der Regel stellt Ethnomarketing eine Ergänzung zum Hauptgeschäft dar und verfolgt das Ziel, neue Kunden zu gewinnen und sie langfristig emotional zu binden.

Mag sein, dass mancher deutsche Geschäftsmann beim Thema Ethnomarketing instinktiv Berührungsängste verspürt, und zwar nicht wegen der Vorurteile gegenüber „Ausländern", sondern vielmehr wegen der Befürchtung, die Betonung der sprachlich-kulturellen Besonderheiten bestimmter Kunden könnte von diesen als Abwertung, Diskriminierung oder gar als Segregation verstanden werden. Dies ist ein Irrglaube, denn es geht hier nicht um Ausgrenzung, nicht um Trennung nach ethnischen Merkmalen, sondern, umgekehrt, um einen besonderen Service, eine zusätzliche Dienstleistung, letztendlich um das buchstäbliche Umwerben der fremdländischen Kunden, was für sie sehr schmeichelhaft ist.

Man leistet mit Ethnomarketing keinem Parallelwelten Vorschub, man trägt lediglich der Realität Rechnung: Der Immigrant, selbst wenn er gut integriert ist und über ausreichende Deutschkenntnisse verfügt, geschweige denn ein ausländischer Besucher, möchte in der Regel in seiner Muttersprache angesprochen, bedient und beraten werden.

Wenn also ein Gastwirt in einem von Touristen frequentierten Ort eine Speisekarte beispielsweise auf Japanisch drucken lässt, so betreibt er Ethnomarketing, allerdings in einer seiner simplen Formen. Vielfältige Varianten des Ethnomarketings haben dagegen die in der Bundesrepublik lebenden türkischen Unternehmer entwickelt. Sie sind in Deutschland auf diesem Gebiet wohl am weitesten fortgeschritten.

Nach den Türken dürften die „Russen" die zweitwichtigste Zielgruppe für Ethnomarketing in Deutschland sein. Die Anführungszeichen sind hier durchaus angebracht, denn es handelt sich in diesem Fall um einen Sammelbegriff, unter den gewöhnlich alle fallen, die aus dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion in die Bundesrepublik gekommen sind. Es sind Vertreter unterschiedlicher ethnisch-kultureller Gruppen, die ein Hauptmerkmal eint: Sie alle sprechen Russisch.

Den weitaus größten Teil dieser Zielgruppe bilden Spätaussiedler, die oft auch als Russland-Deutsche bezeichnet werden. Die praktische Erfahrung hat allerdings gezeigt, dass sie sich hierzulande oft als „Russen" und nicht als „Deutsche" positionieren und entsprechend auch wahrgenommen werden, was nicht selten an ihren unzureichenden Sprachkenntnissen liegt. Auf jeden Fall sind es Migranten, die einen Teil ihrer ehemaligen Heimat mit sich und in sich nach Deutschland gebracht haben. Daher sind sie für Ethnomarketing sehr empfänglich.

Einen weiteren mehr oder weniger homogenen Teil der russischsprachigen Einwohner Deutschlands bilden jüdische Kontingentflüchtlinge aus der ehemaligen Sowjetunion, die von der Bundesrepublik aus humanitären und politischen Gründen aufgenommen wurden. In einer dritten Gruppe könnte man schließlich all jene „Russen" vereinen, die aus verschiedenen individuellen Gründen nach Deutschland gekommen sind. Das sind hauptsächlich Fachkräfte, denen hierzulande eine Arbeit angeboten wurde, oder Personen, die einen deutschen Ehepartner haben.

Diese drei russischsprachigen Gruppen haben natürlich ihre spezifischen Eigenschaften. Die Spätaussiedler leben oft noch in Großfamilien, kommen nicht selten aus ländlichen Gegenden hinter dem Ural, sind bodenständig und somit typische Häuslebauer, die es auch hier aufs Land zieht. Jüdische Kontingentflüchtlinge sind in der Regel Akademiker aus russischen und ukrainischen Großstädten, die auch in ihrer neuen Heimat Ballungsräume bevorzugen. Die wesentlichen Merkmale der Vertreter der dritten Gruppe bestehen darin, dass sie oft in hohem Maße integriert sind, aber gleichzeitig intensive Kontakte mit ihrer Heimat unterhalten, und dass sie über eine relativ hohe Kaufkraft verfügen.

Trotz dieser Fragmentierung bilden die russischsprachigen Einwohner Deutschlands zweifellos eine einheitliche Zielgruppe, die aus mehr als drei Millionen Menschen besteht. Rechnet man die Geschäfts- und Messereisenden und die Touristen aus dem postsowjetischen Raum, sowie den privaten Besuchsverkehr mit dazu, kommt man schnell zu dem Schluss, dass Ethnomarketing für Russischsprachige verschiedensten deutschen Einzelhändlern und Dienstleistern ein lohnendes Geschäft verspricht.

Als ersten Schritt könnte man ja einfach prüfen, ob es im eigenen Unternehmen bereits Mitarbeiter aus dem postsowjetischen Raum gibt und ob sie gezielt als Betreuer russisch sprechender Kunden eingesetzt werden könnten. Die Besitzer von Boutiquen in jenen deutschen Städten, die oft von reichen Touristen aus dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion besucht werden, haben sogar extra Personal zu diesem Zweck eingestellt. Aber auch in zahlreichen Arztpraxen und Anwaltskanzleien überall im Bundesgebiet gibt es mittlerweile russischsprachige Mitarbeiter, die für ihre Arbeitgeber konsequent eine zusätzliche Patienten- oder Mandantengruppe erschließen.

Als zweiter Schritt käme dann die Werbung für den neuen Ethnoservice. Hierbei sollte man sich natürlich nicht nur auf Mund-zu-Mund-Propaganda verlassen, sondern auch auf die Möglichkeiten der inzwischen relativ gut entwickelten russischsprachigen Medien in Deutschland zurückgreifen. Dabei bieten sich vor allem Printmedien an, die in der Regel regional ausgerichtet sind und durchaus vertretbare Preise verlangen. Im Rhein-Main-Gebiet wäre das die in Frankfurt erscheinende Monatszeitschrift „Neue Zeiten Frankfurt am Main" deren primäre Zielgruppe russischsprachige Mitbürger in der Region sind.

Autoren:

Alexander Cherkasky, Chefredakteur

Oleg Tsilevich, Geschäftführer